Samstag, 13. Dezember 2008

GeDüchte mit Interpretationen ficken


WAS ES IST

Wir wissen nicht, was es ist.
Manche nennen es Liebe,
andere verfallen in Schweigen.
Es ist, was es ist,
was ist.

Es ist, was es ist,
doch ist es überhaupt was,
und was ist es dann,
hier und heute -
nur Schweigen, keine Antwort.
Was kann es nur sein?

Es ist, was es ist,
doch wird es einmal gewesen sein?
Ein Früher, ein längst Vergangen,
wie ein verwester Leichnam,
ausgetrocknet, zerfallen,
fast schon nicht mehr vorhanden?
Wird es dann nicht mehr schmerzen,
nicht mehr verletzen
und nicht mehr versprechen,
daß es doch möglich sei,
einfach glücklich zu sein?

Es ist, was es ist.
Manche nennen es Liebe,
andere verfallen in Schweigen.
Es ist, was es nicht ist,
nur das scheint sicher zu sein.

(Aus: Rainer Bäcker, Versuche über die Liebe ... und andere Zumutungen,
Frieling, Berlin 1995)

Ein WahnsinnsPöm!! Der Dichter macht hier so 27 Zeilen und darüber noch eine wunderschöne Überschrift. Die Überschrift sagt gleich, was es ist. Was es ist, so heißt auch das Gedicht.
Aber - was ist es? Wir wissen es nicht. Sagt der Dichter. Was es ist, das wissen wir nicht. Traurig. Aber bedeutungsvoll - wahr. Und schon taucht hier sehr geschickt wieder die Überschrift WAS ES IST in der ersten Zeile auf. Doch: "Wir wissen es nicht" Na, klar! Woher denn auch?! Es ist 'mal gerade die 1. Zeile der 1. Strophe, und noch kann man darum einfach nicht wissen WAS ES IST. Wir wissen nicht, was es ist. Der Dichter weiß es vielleicht auch nicht. Kann ja sein, oder?
Aber - "manche nennen es Liebe", so sagt er. Und, wenn manche etwas nennen, muss es andere geben, die etwas nicht nennen. Das mutet uns der Dichter zu. Und er sagt darum: "Klar - manche nennen es Liebe - so weit, so gut, so schön! - aber andere verfallen in Schweigen. Das ist zwar blöd, könnte man meinen, aber dies scheint sicher zu sein. Sicher! Denn wenn einer in Schweigen verfällt, so muss er zuvor absolut unanständig mächtig gequasselt haben: Denn sonst wäre er doch wie natürlich im Schweigen geblieben und hätte nicht erst verfallen müssen, nämlich in das Schweigen direkt hinein. Das leuchtet ein. Hier hat es die Lyrik aber ganz knusprig mit den alltäglichen Dingen des gemeinen Alltags zu tun. Denn ist es nicht so, dass oft manche etwas nennen, sei es, dass sie es Liebe nennen, und andere dann schweigen, ja, gleichsam in ein solches verfallen? Ist es nicht so, dass oft leichtfertig gesagt wird: "Du, das's aber Liebe, Du!" Und andere dann nicht sagen: "Nö, Du, mein' ich gar nich', fick 'mal schön weiter & quassel nich'! Un' lass' endlich den Quatsch mit'ter Liebe, is' ja schon Halbacht, äh!"
Nein, sie sagen sich: Sollen manche es nur Liebe nennen, wir (anderen) verfallen lieber in saugeiles Schweigen. Ja, schöne Scheiße, hätten die anderen doch was gesagt, aber nein, sie verfallen in Schweigen. Also angesichts dessen, dass manche es Liebe nennen und auch sicherlich darüber geredet haben, sind andere stumm geworden. Sie sagten vielleicht noch: "Na, gut, ihr mögt es Liebe nennen, aber ... und gerade wollten sie noch etwas sagen, wirklich etwas sagen (...) ... da verfallen sie schon in tiefes Schweigen. Sagt uns der Dichter. Tragisch. Dieser Mutismus wahrer Lyrik. Doch auch obszön. Denn seit Ingmar Bergmann diesen Film "Schweigen" gemacht hat, wissen wir instinktiv, Schweigen ist auch immer Lust und Schweinerei zugleich. Ja, es ist gleichsam eine schiefe Ebene, auf der wir von der Liebe in das Schweigen verfallen oder cremen ausgleiten & schließlich verrutschen. Oft auch schmieren wir dabei ab oder aus. Andere aber nicht. Und die, die ins Schweigen verfallen sind, wissen nicht, was Liebe ist, denke ich, legt uns der Dichter nahe.
Oder ist die Liebe selbst das Schweigen? Ja, pepperonischärfer noch gefragt: "Was ist es überhaupt?" "Wir wissen es nicht, was es ist." Aha! Somit sind wir auf dem Umweg über das Nennen von Liebe und das Verfallen ins Schweigen wieder auf die erste Zeile der ersten Strophe verwiesen. Der Prozess des Verstehenwollens begönne aufs Neue, wenn ... ja, wenn der Dichter dieses Poems es nicht so geschickt eingerichtet hätte, dass auf die 3. Zeile die 4. und darauf immediat die 5. Zeile folgte. Zwei Zeilen, deren ausdrücklicher Sinn unser Nachdenken in einer vorläufigen Antwort zu beruhigen sucht: "Es ist, was es ist - Zeilenumbruch - was ist." Na, was ist denn? Donnerwetter! Also das ist es?! Ja, das ist es, was es ist. Oder anders gesagt, das Ganze einmal prosaisch genommen: Das, was ist, ist, was es ist. Phantastisch. Bombastisch. KRrrromatisch.
Das mit dem ISTWASESIST ist alles sehr ungereimt, und nicht zuletzt darum, so scheint mir, griff der Dichtersmann wohl zu dem Form gebenden KunstGriffe, das, 'WAS ES IST', nicht in Reime zu fassen. Keine Reime. Freie Rüttmik. In sich selbst zurückgehendes und damit sich gleichsam selbst und anderes auflösendes Metrum. Gewagt. Hier uns vor Augen, ein neuer Durs Grünbein, jedoch westlicher Provenienz. Der Dichter aus dem Bergischen Land. Seine Gedichte verfassend bei Waffeln mit heißen Kirschen hinter der klappernden Mühle am rauschenden Bache schön schauend er selbst ins Weite des Seins - denn nur das ist doch emphatisch, WAS ES IST!!??!! Oder vielmehr ... Nicht?
Aber wir wissen immer noch nicht, WAS ES IST! Wird uns dies auf ewig verschlossen bleiben?
Es würde, hätte nicht Rainer Bäcker tief im sinnversumpften WörterSee für uns geschickt mit Sinnlibellen gefischt. Mir persönlich sind dies (hier beiseite gesprochen) immer die liebsten Gedichte - Gedichte, die sagen WAS ES IST und dies auch wieder nicht sagen, sodass die Frage gleichsam an den Leser selbst gestellt ist. Ja nachgerade die Frage selbst den gesamten Seinshorizont ins Offene verMist, sodass das Offene, sei es eben noch das Offene des Gedichtes gewesen, nun das Offene des Fragers und damit auch des Lesers genuin ins Offene quasi hineinöffnet.
Doch zurück zu dem, WAS ES IST! Es ist zwar, so erfahren wir hier, WAS ES IST, "doch ist es überhaupt was"? - Ja, aber es ist doch, was es ist, sagen wir schnell & schlagfertig und weiters sagen wir fix noch dazu: Dann ist es doch aber schon etwas. Jedenfalls muss es doch etwas sein, da es doch ist, was es ist. Also, ährlich?! Gut, das ist der Standpunkt des come on sens möchte der Germanist hier gleich aus übel riechendem Munde munkeln. Auch sagen Andere, die einmal nicht ins Schweigen verfallen sind: "Möge doch denken so der einfache Mensch an seinem Arbeitsplatze, der seinsvergessen blind am Fließebande eins Niete in eins Nute stanzt. Oder gar der Automobilist in seinem Volante hinter dem Steuer stehend insgesamt am wechsellichternen AmpelBaume sich fragend: Ist es, WAS ES IST? Oder nicht? Doch dann grün, und er fährt der Antwort davon."
Man kann so denken - doch nicht so Rainer Bäcker, der Dichter von 'WAS ES IST'. Dieser sucht mitnichten seine Ruhe im einfachen Konstatieren dessen, dass es ist, was es ist. Rainer Bäcker geht weit über das Behaupten des Seins des ES hinaus und fragt provokant, ob das, was ist, überhaupt sei. Ungeheuerlich!
Und gesetzt einmal, so fragt er weiter, es ist, was es ist, und ist darum überhaupt, ja was, so fragt er sich - und damit zugleich auch uns -, "was ist es dann"? Ja, was ist es dann? Wann? Und wo? So fragen wir natürlich sofort frech zurück. Ist das, was es ist ... wenn es überhaupt ist? Und Rainer Bäcker schleudert uns fest & unerschrocken, wie nur er es kann, der mit allen alpinen, sokratischen Fragewassern der Art Ski-Oh! - non Ski-Oh! gewaschen ist, dieser Rainer Bäcker, der die Süße und Sanftheit der Hügel des Bergischen Landes, das in die äußerste Prägung seiner dichtenden Seele eingegangen ist, in hermetische Worte zu fassen weiß, schleudert uns fest & unerschrocken zurück: ..."hier und heute - Gedankenstrich!" ? - !?! -?
Tja, wann und wo sonst, wenn nicht 'hier und heute' ... leben wir denn nicht je&je schon immer im Hier und im Heute??! Da ist es doch nur folgerichtig, das, was es ist, gleichfalls im Hier und im Heute zu bestimmen. Der Fragehorizont ist hier und heute emphatisch die Gegenwart. Die Gegenwart zu einem Punkte zusammengezogen, zu einer Idealität des Punktes zusammengezogen, deren Hic-et-nunc-Präsenz nur durch die äußerste Anstrengung des in die Tiefe steigenden Begriffs zu begreifen ist.
Nein, nein, nein, nicht 'dort und gestern' oder 'da und morgen' - !Nein! - hier und heute - getzt! Zack! .... hier, an dieser Stelle, nicht vor und nicht zurück, hier - da - jetzt an diesem Pu . ung-kt - da ist das, 'WAS ES IST'! Zugleich an...wesend und ver...wesend. Und doch, um es einmal mit der adversativ patzigen MasturbationsFormel eines Theodor Däubler auszudrücken ... und doch! ... und dann der Gedanken-Strich, der nach hier und heute heischt und suggeriert: Jetzt will Antwort kommen ... vielleicht von denen, die es Liebe nennen ... aber ach! ... gefehlt! ... kein Sagen. Nein! ... Nur Schweigen ... und darum natürlich auch keine Ant-Wort. Scheiße! Die Frage, die Vorstellung, der Gedanke wird zur Marter, ja zum Martyrium. Zum Martyrium einer verlorenen, vergessenen ErInnerung. Nur Schweigen! - Keine Antwort. "Was kann es nur sein?" Kann es denn doch Liebe sein? Ach nein! Liebe können es zwar manche nennen, aber schon verfallen wieder Andere in Schweigen. "Es ist ... aber auch ..."WAS ES IST".... und dann nur noch Schweigen.
Nicht aber so der Dichter. Der Wahlahmburger, der Getriebene, der heimatlos Gewordene, getrennt von den Bergischen Bergen, getrennt vielleicht gar von Familie und Scholle, getrennt von Bergischer Waffel, getrennt von Kirschen und Schlagoberst (dem Klappentext entnehmen wir, er studierte in Wien) getrennt auch vielleicht von seiner Liebsten - wir wissen nicht ... können nur vermuten, 'WAS ES IST', das ihn hier die Frage der Existenz des Seins überhaupt stellen lässt ... aber dieser Dichter verfällt nicht. Nicht dem Schweigen. Leider! Nein, er verfällt aufs Vergangen, pötätre sogar auf Zukünfte mit der Frage "... wird es einmal gewesen sein?" Paradox. Der Dichter - eben noch im Gegenwärtigen, im Hier & Heute - doch nun schon wieder, er, der über allem wahre Wandelbare, jetzt zugleich in der scheinbaren Zerflossenheit, die der Zukunft eigentümlich anheim fällt. Er wagt den grammatischen, hodenSACKStraffenden Spagat des "Wird-einmal-gewesen-sein".
Und voll stürzt jetzt das Zeitliche, ja nachgerade Überzeitliche fast überflüssig auf ihn und damit zugleich uns ein. "Früher", "längst Vergangen" (also noch später, oder vielmehr noch früher, aber damit auch eben später, oder doch früher ... ).
Hier ist leicht nachzuempfinden wie subtil und Schwindel erregend den Leser der leierschlagende Lyrikus auf's Rad der immerwährenden Zeit pflicht ... oder pflocht oder gar flucht ... es mag einstweilen gödel/escher unentschieden bleiben. Was restiert ist ... Vergangenheit. Der Mensch?! - Vergangen. "Ein verwester Leichnam!" (Dies ein ungeheuer kunstvolles Anagramm von "verweichter Lesman") Ja, ha!: Also so sieht der Dichter seinen Leser - als einen verweichten Lesmann, ausgetrocknet & zerfallen & darum fast schon nicht mehr vorhanden? Ist es das, WAS ES IST? Ist es der Tod in seiner Einzigartigkeit? Dies unentrinnbare Fortlaufen bis in den Tode dort wirklich ganz hinein? Oh Zaches und Zinnober! Nicht Hoffnung noch Hoffmann.

Das Verwesen. Das Austrocknen (alles genuin Bergische Herbstvokabeln). Das Zerfallen. Uns graust. Wir sind umtoast vom Burscheider VerFallWind. Kein Entrinnen. Die Sprachgewalt des Dichters reißt uns den Zipfel von der Mütze, zaust uns die wohligwarmen WinterOhrlaschen! Ja, diese Sprachgewalt lässt gar die Slipeinlagen lyrischer Jungfrauen zur Sprungchance schlüpfriger Gefühle gefrieren. Potz Super G und Leck placid!! Doch aber - Rainer wäre nicht Bäcker bük er dem poetischen Herzen nicht ein Lichtblickplätzchen. Denn wenn alles hinein in den Tode und die fortschreitende Verwesung bis zur ausgetrockneten Zerfallenheit zerfällt, nun - wenn dies alles Statt hat ... wird es dann (vielleicht) nicht mehr schmerzen, nicht mehr verletzen, nicht mehr versprechen? Wird das (so müssen wir hier weiter fragen) - 'WAS ES IST' - sich nicht mehr vrsprchen (pardon: versprechen), uns nicht mehr verletzen, Manche nicht mehr schmerzen und nicht mehr Andere verfallen in Schweigen ... lassen .... wir dem, 'WAS ES IST', endlich, "doch dass es möglich sei".
SEIN UND POTENTIA! Sein und Kraft! Ja, die Kraft, "einfach glücklich zu sein" ... glücklich zu sein, nur noch fünf Zeilen dieses Sinn & Sein hinterfragenden Gedichts ... lesen zu müssen.
Ich glaube, das ist's, was uns an dieser Stelle einzig Glück verspricht. Und so lesen wir denn voll kindlicher Ungeduld die letzten fünf Zeilen, deren zweite und dritte wir schnell wieder erkennen, sodass wir nach beharrlichem Verfallen in Schweigen endlich wissen, dass es ist, was es nicht ist ... ganz schön fies negativ dialektisch ... aber, dass der Dichter die Lyrik und damit die Sprache - Form und Sinn - weiters mit seinen unschuldigen Bergischen VerFüßen tritt - "nur das scheint sicher zu sein." Mit dieser Zeile, der siebenundzwanzigsten, endet das Gedicht und Myriaden von NichtLesern werden nicht wissen: 'WAS ES IST'. Abba hier noch einmal das Gedicht in seiner gänzlich fülligen FielFallt:

WAS ES IST

Wir wissen nicht, was es ist.
Manche nennen es Liebe,
andere verfallen in Schweigen.
Es ist, was es ist,
was ist.

Es ist, was es ist,
doch ist es überhaupt was,
und was ist es dann,
hier und heute -
nur Schweigen, keine Antwort.
Was kann es nur sein?

Es ist, was es ist,
doch wird es einmal gewesen sein?
Ein Früher, ein längst Vergangen,
wie ein verwester Leichnam,
ausgetrocknet, zerfallen,
fast schon nicht mehr vorhanden?
Wird es dann nicht mehr schmerzen,
nicht mehr verletzen
und nicht mehr versprechen,
daß es doch möglich sei,
einfach glücklich zu sein?

Es ist, was es ist.
Manche nennen es Liebe,
andere verfallen in Schweigen.
Es ist, was es nicht ist,
nur das scheint sicher zu sein.

(Aus: Rainer Bäcker, Versuche über die Liebe ... und andere Zumutungen,
Frieling, Berlin 1995)

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